Von Dr. Marianne Heinz

Zwei Jahre nach Beginn der Pflanzaktion von Joseph Beuys kam ich im Oktober 1984 nach Kassel, um hier die Leitung der Neuen Galerie, der modernen Abteilung der damals noch Staatlichen Kunstsammlungen zu übernehmen. Von Anfang an galt neben zahlreichen anderen Aufgaben mein besonderes Interesse dem Werk von Joseph Beuys. Und diese Auseinandersetzung fand zweigleisig statt: einmal im Raum von Joseph Beuys in der Neuen Galerie und zum anderen in Zusammenhang mit der Pflanzaktion „7000 Eichen“ in der Stadt.
Im Innern der Neuen Galerie, im Zentrum des Gebäudes, war in dem vom Künstler selbst ausgewählten Raum eine seiner wichtigsten, überaus komplexen Installationen untergebracht, deren Exponate die bedeutendsten Stationen seines Werkprozesses widerspiegelten: die Gruppe der frühen Zeichnungen, die vier Vitrinen mit Gegenständen seiner ersten Aktionen und ebenso 12 plastische Bilder, auch diese meist mit einer seiner zahlreichen Aktionen in Zusammenhang stehend, bis hin zum zentralen Werk „The pack” (Das Rudel) entlang der Mittelachse des Raumes, seine erste Installation überhaupt. Und draußen auf dem Friedrichsplatz lagerte damals vor dem Fridericianum noch ein großer Teil der für die Pflanzaktion „7000 Eichen“ bestimmten Steine, seine erste Installation außerhalb des Museums.
Immer noch für viele Bewohner der Stadt damals als Schandfleck bezeichnet, hatten die in den Umrissen eines spitz zulaufenden Dreiecks aufgehäuften Steine seit dem documenta-Jahr 1982 nichts von ihrer Faszination verloren: eine riesige Skulptur, unnahbar, übermächtig, sich ständig verändernd. Und je mehr Steine dort verschwanden, um neu gepflanzten Bäumen zur Seite gesetzt zu werden, um so mehr beruhigten sich die Gemüter. Außerdem ließ der Alltag die Aufregungen abebben. Im übrigen gab es zum damaligen Zeitpunkt nicht wenige Beobachter, die sich den Erhalt und Verbleib der auf dem Friedrichsplatz gelagerten Steine als eigenständiger Skulptur gewünscht hätten.
Nur wenige der lautstarken Kritiker ahnten kaum oder bedachten gar, dass mit jedem abtransportiertem Stein der sogenannte Schandfleck zwar kleiner wurde, stattdessen aber die Idee der Pflanzaktion „7000 Eichen“ von Joseph Beuys zunehmend Gestalt annehmen konnte.

Der Stein
Die 7000 Basaltstelen unterschiedlicher Form und Größe neben den 7000 Bäumen stammen aus einem nahegelegenen Steinbruch aus der Umgebung von Kassel. Sie flankieren die zur Pflanzaktion gehörenden Bäume. Mit dem Stein wird jeder der 7000 Bäume für sich zum Monument, ein Monument aus wachsendem Baum und bleibendem Stein.

Der Baum
Der Baum gilt allgemein als elementarer Ausdruck und Symbol lebendiger Natur. Mit der Eiche verbinden sich zahlreiche religiöse, historische und mythische Assoziationen. Außerdem ist die Eiche ein besonders langsam wachsender Baum. Joseph Beuys vergleicht das Bild des Baumes mit dem des Menschen. Dem Kopf, Sitz des Bewußtseins, des Denkens und Handelns, stellt er die Wurzeln des Baumes gegenüber, Ausgangspunkt für Wachstum und Fortbestehen.

Die Verwandlung
Mich interessierte dieses Phänomen der Verwandlung eines Kunstwerks, die doppelte, sich gegenseitig bedingende Veränderung: einmal die der angehäuften Steine auf dem Friedrichsplatz, die immer mehr zusammenschrumpften und gleichzeitig die Veränderungen bestimmter Plätze oder Straßenverläufe in der Stadt. Dort hatte man mit Hilfe des Baumbüros viele der geplanten Baumpflanzungen bereits umgesetzt: Dort konnte sich jeder einzelne Stein als kraftvolles Element und als gewandeltes, individuelles Zeichen positionieren.
Außerdem interessierte mich damals zunehmend der Zusammenhang der Pflanzaktion von Joseph Beuys mit seinem übrigen Werk, welches ja einmal durch die Werkfolge, die im Raum in der Neuen Galerie stets präsent war und den Zeitraum von 1951-1972 umfasst, als auch durch seine Werkentwicklung, die anlässlich seiner Beteiligungen an mehreren documenta-Ausstellungen von 1964 bis 1982 lebendig geblieben war.

Von großer Überzeugungskraft bleibt dabei immer wieder die Konsequenz seiner Schritte: der Weg von den gleichsam anonym entstandenen frühen Zeichnungen, den ersten Aktionen und der beginnenden Lehrtätigkeit von Joseph Beuys, die Diskussionen mit dem Publikum 1972, über die Honigpumpe im Museum Fridericianum 1977 anläßlich der documenta 6, bis zum Beginn der Pflanzaktion 1982, dessen Abschluss Joseph Beuys leider nicht mehr erlebte.
Und all diese Gedanken bestärkten meinen Wunsch, unbedingt auch Beuys-Bäume an der Neuen Galerie zu haben, in deren unmittelbarer Umgebung durch das nahegelegene Parkgelände keine Anpflanzungen geplant waren. So kam das Angebot vom Baumbüro, nahe der Neuen Galerie Bäume zu pflanzen, gerade recht. Der Ort war auch schnell gefunden, jeweils ein Baum seitlich der Eingangstreppe. Die Steine durfte ich selber auf dem Friedrichsplatz aussuchen. Die ganze Aktion dauerte kaum mehr als zwei Tage.
Die beiden Beuys-Bäume vor der Neuen Galerie markieren nicht nur das Entrée. Viel wichtiger ist der Zusammenhang von Innen und Außen, dem Raum von Joseph Beuys in der Neuen Galerie und der anschaulichen Fortführung seines Werkes mit den beiden Bäumen und Steinen draußen vor der Tür.
Seit den späten 70er Jahren hatte Joseph Beuys begonnen, seine Arbeit immer mehr in den öffentlichen Raum zu verlagern, außerhalb des Museums. Mit der Pflanzaktion „7000 Eichen“, die 1987 anläßlich der documenta 8 abgeschlossen war, sollten die Bewohner der Stadt Kassel Joseph Beuys’ bedeutendstes Kunstwerk erhalten. Zusammen mit dem Raum von Joseph Beuys in der Neuen Galerie, seiner Teilnahme an den documenta-Ausstellungen 3-7 darf Kassel als ein zentraler Ort für die Bewahrung seines künstlerischen Werks und für die Entstehung und Verbreitung seiner komplexen Ideen gelten.

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Mit dem Raum von Joseph Beuys in der Neuen Galerie und seiner Teilnahme an den documenta-Ausstellungen 3, 4, 5, 6 und 7 ist Kassel der Ort für die Bewahrung seines künstlerischen Werks und für die Entstehung und Verbreitung seiner komplexen Ideen.