Von Norbert Scholz und Andreas Schmidt-Maas

Es war einmal – von der märchenhaften Wandlung einer grauen Straße in eine grüne Allee
Das Bild zeigt eine Momentaufnahme von den 31 Robinien in der Bodelschwinghstraße, einen von hunderten Standorten der Skulptur „7000 Eichen“ inmitten dieser Stadt. Es vermittelt dem Betrachter eine heitere sommerliche Stimmung. Das strahlende Licht der Sonne wird durch das frische und lichte Laub der Bäume vielfach gebrochen und gefiltert. Im Zusammenspiel von Licht und Schatten entstehen Erscheinungen, die an impressionistische Bilder erinnern. Hier möchte man gerne entlanggehen und einen Moment unter den Bäumen verweilen inmitten der geschäftigen Hektik des städtischen Alltags. Dies war jedoch nicht immer so: Denn vor über 22 Jahren, bevor Beuys mit seiner großartigen Idee kam, diese Stadt mit seinem Kunstwerk „7000 Eichen“ zu verwalden, war diese Straße wie viele andere auch eine baumlose Straße. Einerseits viel zu breit und deshalb von Autos zu schnell befahren und andererseits zu eng für Fußgänger, Anwohner und Kinder. 1982 erhielt das „FIU-Koordinationsbüro 7000 Eichen“* die ersten Anfragen von Anwohnern nach Bäumen und entwickelte ein Konzept, das auf zwei Anliegerversammlungen ganz demokratisch diskutiert und beschlossen wurde. Der von der Stadtverwaltung schließlich unterstützte Umbau erfolgte 1983-1984 und wurde ausschließlich durch Spenden von Joseph Beuys „7000 Eichen“ finanziert. Durch den Straßenumbau wurde die Fahrbahn verschmälert und der Gehweg mit einem durchgehenden Baumstreifen verbreitert. Nach diesem Vorbild wurden auch andere Straßen im Rahmen des Kunstwerkes umgebaut. Als wir Beuys damals den Straßenumbau zeigten, wollte er es angesichts der großen Baustelle zuerst nicht glauben, dass so etwas im Rahmen des Kunstwerkes inzwischen möglich war. Er fand diese Pflanzung „einfach großartig und phantastisch“ und ermunterte alle Mitarbeiter dazu, weitere derartige Projekte anzupacken: „Wir wollen ja schließlich die Lebensverhältnisse ganz real verbessern, da wo es auf diese Weise erforderlich ist. Es ist also logisch, dass wir noch mehr in der Innenstadt pflanzen. Ich kümmere mich ja um die notwendigen Gelder“ (Joseph Beuys, 1983).
* Das Koordinationsbüro war die von Beuys in Kassel eingerichtete Informations- und Anlaufstelle für alle Bürger/innen, die Baumstandorte vorzuschlagen hatten.

“… denn wir wollen die Pflanzaktion ja nie mehr beenden!“
Zur Eröffnung der documenta 8 am 12.06.1987 wurde nach Beuys' Tod die 7000ste Eiche feierlich neben die 1. Eiche vor dem Fridericianum gepflanzt. Damit war das Kunstwerk vollendet. Zur gleichen Zeit jedoch pflanzte eine Gruppe Kunststudenten demonstrativ auf dem Grünstreifen einer sechsspurigen Straße nebenan die 7001ste Eiche. Mit dieser spontanen Aktion sollte auf die Notwendigkeit hingewiesen werden, über den Tod von Beuys hinaus, seine Vision und Vorstellungen für ein Denken und Handeln zugunsten einer ökologischen, verantwortungsbewussten Umgestaltung des gesamten gesellschaftlichen Organismus im Sinne eines erweiterten Kunstbegriffes fortzuführen. Der Ideengehalt des Kunstwerkes „7000 Eichen“ als soziale Skulptur übertrug sich von Kassel ausgehend fast weltweit: So wurden Baumpflanzungen „Beuys zu Ehren“ von Tokio bis New York durchgeführt. Das “Dia Center for the Arts“, eine Kunststiftung, die einen wesentlichen Anteil zur damaligen Finanzierung des Basaltstelenkaufs für Beuys übernommen hatte, führte später eine eigene Pflanzaktion mit 40 Bäumen und Anwohnerbeteiligung in New York durch. Für die Umsetzung seiner Vision wäre Beuys sogar bereit gewesen, nach Russland und Sibirien zu gehen und dort Baumpflanzaktionen durchzuführen. So sagte er in einem Interview mit der Zeitschrift Twen (Ausabe 6/1982).
„… Es geht darum, ausgehend von einem anderen Kapitalbegriff, die Gesellschaft zu verändern. Nicht das Geld ist das Kapital, sondern die Fähigkeit des Menschen. Diesen Gedanken muss mann solange verfolgen, bis die geeigneten Wirtschaftsgesetze vorhanden sind, um diese Erkenntnis auch real zu vollziehen. Die Diskussion darüber kann bei der Baumpflanzaktion gut beginnen. Außerdem wäre das auch ein gutes Feld, um Außenpolitik zu machen. Wenn ich kein Geld für Bäume mehr habe, dann gehe ich zu Semjonow*) und frage, ob die Sowjetunion sich nicht verantwortlich fühlt, hier mal ein paar Eichen zu pflanzen. Meinetwegen auch in Sibirien. Überall. Auch die Russen hauen hauptsächlich Bäume ab und pflanzen viel zu wenige neue. Das heißt: Wir würden es gerne übernehmen, ganz Russland zuzupflanzen. Oder die Falkland-Inseln. Bei dieser Gelegenheit ließe sich eine sehr vernünftige Politik betreiben, die da sagt: Politik dürfte es eigentlich gar nicht geben, sondern nur eine gute Zusammenarbeit von Menschen an vernünftigen Handlungen im Wirtschaftsleben.“
*) Wladimir Semjonowitsch Semjonow (1911-1992) war 1978-1986 sowjetischer Botschafter in Bonn

Joseph Beuys ist in Sibirien schon längst angekommen!
Am 8. Mai 1998 wurde in der russischen Stadt Jaroslawl, der Partnerstadt von Kassel, der Garten der Partnerstädte eröffnet. Dieser Park liegt im Zentrum der Stadt an der Pervomiaskaja in unmittelbarer Nachbarschaft zur Wolga und zum Denkmal des russischen Dichters Nekrassov. Herzstück dieser Parkanlage ist eine Baumskulptur in Form eines Baumkreises aus 8 verschiedenen Baumarten, die jeweils in Flächensegmenten gepflanzt wurden. Jede Fläche ist als Symbol für den Frieden und die Völkerverständigung einer der 8 Partnerstädte aus verschiedenen Ländern Europas und auch aus Amerika zugeordnet. Die Idee zu dieser Parkanlage war aufgrund einer Einladung an den ehemaligen Leiter des Kasseler Umwelt- und Gartenamtes, Herrn Hans-Jürgen Taurit entstanden. Unter seiner Leitung wurde die Organisation und Planung wie bei der Aktion „7000 Eichen” in Kassel von Mitarbeitern des ehemaligen Koordinationsbüros vor Ort übernommen. Die Pflanzung erfolgte durch Studenten der Pädagogischen Universität Jaroslawl. Bestandteil des deutsch-russischen Kulturaustausches waren dabei Vorträge über Joseph Beuys und sein Kunstwerk „7000 Eichen” in Kassel. Anlässlich eines Empfanges und Vortragsabends im deutschen „Haus der Begegnung” geschah folgende Begebenheit: Ein ehemaliger Hauptmann der russischen Armee berichtete uns, dass er mit seiner Pioniereinheit 1982 in der damaligen DDR stationiert gewesen war. Über Satellitenspionage hatte das Militär die für sie rätselhafte Ansammlung von 7000 Basaltstelen in Kassel beobachtet. Nachdem klar wurde, dass es sich hierbei um eine friedliche Mission handelte – das Pflanzen von Bäumen mit Steinen – war der Hauptmann über diese Kunstaktion ganz begeistert. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurden die russischen Streitkräfte abgezogen, und der Hauptmann wurde mit seiner Pioniereinheit in Sibirien stationiert. Dort ließ er umgehend hunderte von Bäumen als Alleen pflanzen und neben jeden Baum einen Stein setzen!

Über „7000 Eichen“ hinaus ein Kreuz aus Bäumen
Unter direkter Bezugnahme auf den Zukunftsimpuls von Joseph Beuys ensteht mit dem Fall der Mauer in Berlin 1989 eine Initiative von Künstlern und ehemaligen Mitarbeitern von Beuys, Ökologen, DDR-Bürgerrechtlern und einem Wirtschaftsunternehmen – den Wilhelmi Werken AG aus Lahnau, die sich als Gemeinschaftsprojekt von Kunst und Wirtschaft zum Ziel setzt – eine Ost-West-Allee entlang der Bundestraße 7 von Kassel nach Eisenach in Thüringen zu pflanzen. So entsteht 1990 eine erste Alleepflanzung mit 140 Bäumen am Schnittpunkt der Teilung Deutschlands, dem ehemaligen Grenzzaun und Todesstreifen und der sie durchkreuzenden Bundesstraße. Diese Skulptur „Baumkreuz“ ist das Zeichen der Überwindung des Todes, sie ist Symbol einer neuen Idee von Wirtschaft und eines erweiterten Begriffs der Kunst. Seitdem werden jedes Jahr regelmäßig Alleepflanzungen durchgeführt, ein Ereignis, zu dem sich inzwischen bundesweit verschiedenste Menschen, Initiativen und Organisationen treffen, um gemeinsam Bäume für die Zukunft zu pflanzen.

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„... denn wir wollen die Pflanzaktion ja nie mehr beenden!“

 

„... Es geht darum, ausgehend von einem anderen Kapitalbegriff, die Gesellschaft zu verändern. Nicht das Geld ist das Kapital, sondern die Fähigkeit des Menschen. Diesen Gedanken muss man solange verfolgen, bis die geeigneten Wirtschaftsgesetze vorhanden sind, um diese Erkenntnis auch real zu vollziehen. Die Diskussion darüber kann bei der Baumpflanzaktion gut beginnen.“

Joseph Beuys