Von Dr. Rhea Thönges-Stringaris

Es ist ja ein Merkmal von großer Kunst, dass sie sich überhaupt nicht aufdrängt, sondern vollkommen eingeht, in den Zusammenhang eingeht, fast verschwindet in der Natur.

Ohne es zu wissen, hatte Joseph Beuys 1979 durch diese Äußerung seine Jahre später entstandene Raum-Zeit-Aktion „7000 Eichen - Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ (1982-1987) treffend charakterisiert. Mit dieser Aktion war zugleich ein großangelegtes Experiment gestartet, die überlieferten Vorstellungen von Skulptur in neue Dimensionen zu führen.
Die 7000 Bäume dieses einzigartigen Kunstwerkes, das auf spektakuläre Effekte verzichtet, drängen sich nicht auf, verändern aber seit 1982 dennoch nachhaltig ihr urbanes Umfeld. Unter all den anderen Bäumen in der Stadt, werden diese zu etwas Besonderem allein durch den säulenförmigen Basaltstein, der jedem einzelnen von ihnen beigegeben ist. Der Stein, als Natur-Skulptur, übernimmt zunächst die Aufgabe, den Baum zu bezeichnen und auch auszuzeichnen. Er markiert den Baum als Monument und unterstreicht den Langzeitcharakter der Aktion. Als Mineral aus dem „Reich unterhalb der Pflanzen“ (Beuys) setzt er in langsamer Verwitterung Spurenelemente frei, die den Baum nähren. So ist die Basaltsäule hier auch Wächter: Etwas Gesundes neben dem Baum.
Immer wieder machte Beuys auf das Spannungsverhältnis zwischen Stillstand und Wachstum als Bestandteil der Skulptur 7000 Eichen aufmerksam - vor Augen geführt durch die ständige Veränderung von Proportionalität. Im toten Basalt und im lebenden Baum sah er kooperierende Gegensätze, die den Lauf der Zeit visualisieren. Polarität, in Beuys’ erweiterter Auffassung von Bildhauerkunst stets unverzichtbar, ist in dieser monumentalen Arbeit zentrales Element.
Der teilweise über zwei Meter hohe, nur aus der Vogelperspektive als Keilform erkennbare „Berg“, den die 7000 Basaltstelen zu Beginn der Aktion bildeten, behauptete sich im Zentrum der documenta zunächst als Skulptur der historischen Avantgarde – hatte aber gleichzeitig die pragmatische Funktion eines Ausgangs-Lagers. Kassels Bürger jedoch, die darin nichts als einen wüsten Steinhaufen auf ihrem Friedrichsplatz sahen, assoziierten ihn mit den Trümmern ihrer Stadt nach den Bombenangriffen des zweiten Weltkrieges. Unzählige Leserbriefe, Anfeindungen und Beschädigungen gegen die steinerne Skulptur wurden zum beinahe täglichen Zeugnis eines wütenden Unverständnisses.
Dennoch war es Beuys gelungen, dieses Werk in seinem Doppelcharakter zu präsentieren: zum einen als verankert in der Tradition der Moderne, zum anderen als Start für die Transformation in die Soziale Plastik: Bei jeder Baumpflanzung „verließen“ nach und nach die Steine ihre Kunstdomäne documenta und gingen in den urbanen Bereich über.

Beuys schuf damit eine Parabel – und zugleich eine praktische Funktion: Jeder Griff muß sitzen.
Seit Vollendung der Aktion, 1987, existiert die keilförmige Basaltskulptur nur noch als „Innenbild“ (und als Photodokument).
Steine sind das ursprüngliche Material für den Bildhauer, sie führen zurück in die Urzeiten der Kunst; als “Denkmal“ in die Anfänge von Kultur, Gedächtnis und Geschichte; als Altar- und Opferstein in die des religiösen Kultus. Im stummen, erstarrten Mineral wurde man einst auch dem Bild des Todes ansichtig. Der Stein weist in die Vergangenheit, der Baum in die Zukunft. Der Stein schweigt, der Baum singt. Wachstumsenergie geht von unten nach oben, Formenergie von oben nach unten - sonst würden die Bäume in den Himmel wachsen - meinte Beuys einmal im Gespräch.
Basalte sind Teil der unteren Erdkruste und der ozeanischen Böden und kommen auch auf den Planeten Merkur, Venus, Mars und auf dem Mond vor. Sie entstehen durch Kristallisation von flüssiger Lava, welche, erkaltet, oft meterlange, mehreckige, senkrechte Basaltsäulen bildet.
Durch ihren Entstehungsprozess in die kristalline Struktur demonstriert die Basaltsäule - gewissermaßen als Kontrapunkt zum Fett - Beuys’ Vorstellung von der Plastik: Also: Alle Stofflichkeit geht erst durch dieses erst Wärmehafte, Flüssige, und verfestigt sich mehr und mehr und wird schließlich zum Stein. Die vulkanische Genese des Basaltes veranschaulicht den dreifachen plastischen Vorgang, wie ihn Beuys beschrieb und den man sich auch in umgekehrter Richtung vorstellen kann: ... eine Kräftekonstellation, die sich zusammensetzt aus unbestimmten chaotischen, ungerichteten Energien, einem kristallinem Formprinzip und einem vermittelnden Bewegungsprinzip.
Mehr als man es angesichts seiner Materialrevolution durch Fett und Filz erwarten würde, hat sich Beuys mit dem Stein, dem Material des Bildhauers schlechthin, befasst. Bei seinen anfänglichen Vorstellungen zum Bildhauer-Beruf verband er offensichtlich diesen Begriff – wohl auch in seiner Begeisterung für Wilhelm Lehmbruck – ausschließlich mit einem in Stein Arbeitenden. In einem romantischen Gedicht des 22jährigen ist zu lesen:
Jungfrau:/ Und siehe, ich schaue dir zu/ Wie du den Marmor schlägst/ Wie du formst mit der fühlenden Hand./ Ja, Liebster forme mich in Stein/ Wie ich deinen Geist in die Morgenröte lenke/ Bilde mich... O, bilde mich in Stein/ Wie du Helden und Götter schufst/ In Wäldergängen/ Hauche meine Seele in den kühlen Stein/ Mein Herz soll kühl und ernst werden/ Und mädchenhaft wie der lichte Marmor/ Doch aus den steintoten Herzen/ Sollen die lebenden wachsen wie die blaue Blume/ Und jede Blüte soll wieder/ Ein schlagendes Steinherz gebären.../ Ewigkeit, Ewigkeit.../ Ewigkeit. (1943)

Fast als Echo zu diesem Gedicht, zeigt sich in einer Bleistift-Zeichnung von Beuys vierzehn Jahre später, 1957, der Bildhauer: Zwischen zwei weiblichen Torsi emporwachsend, arbeitet der männliche Künstler an einer dritten weiblichen Steinfigur.
Kaum verborgen im schwärmerischen Ton des Gedichts, deutet sich hier bereits Beuys’ komplexe Idee vom Stein - zumal in seiner Ausformung im Kristall – an: einerseits als Sinn- und Realbild für alles Tote, erstarrt Rationale; andererseits in der in ihm vorgestellten Kraft zur Beseelung, Transparenz und Verlebendigung im Geist: das durchsichtige Todesprinzip, das Kristallprinzip, das geheime Formprinzip in seinem Verhältnis zur lebendigen, durchpulsten, lebensfördernden, geistfördernden Gestalt.
Dreieckige Formen, wie die des Keils, der Berge und der Pyramiden, sind bei Beuys – einem Sohn der Ebene – keine Abstraktionen, sondern majestätische Zeugen von Urkräften, zum Stillstand gekommene Energien und Formprozesse. Manchmal kommen bei ihm Berge auch als Traum in einer Installation vor: Voglio vedere le mie montagne.
Basalte sind druckfest, nicht allzu spröde im Charakter, doch schwer zu bearbeiten. Fast vergessen, dass der spätere Akademielehrer für „Monumentale Skulptur“ Beuys seine Laufbahn in den frühen 50er Jahre mit einer riesigen Basaltplastik, dem sogenannten Kreuz Koch, beginnt, und dreißig Jahre später mit zwei ebenso monumentalen Basaltskulpturen abschließt: Den zur Auflösung bestimmten Basaltkeil der documenta 7, und die dreifach ausgeführte Basaltskulptur Dasendedes20. Jahrhunderts.
Das nie aufgestellte Frühwerk Kreuz Koch ist sorgfältig im Atelier gefertigt und noch der Tradition zugehörig. Bei den beiden Spätwerken dagegen heben die unbearbeiteten Basalte den Übergang in den geweiteten Raum der Kunst hervor.
Nur zweimal hat Beuys sich eindeutig selbst porträtiert; und in beiden Bleistiftzeichnungen aus der Zeit der Lebens- und Schaffenskrise der 50er Jahre ist sein Kopf in Zusammenhang mit Basaltsäulen zu sehen. In der einen Zeichnung, "Ohne Titel (Mann im Gestein)", zeigt er sich leidend, eingezwängt zwischen mächtigen Basaltblöcken einer Gebirgshöhle. In der anderen, "Selbst im Gestein", ist der Kopf weniger bedrängt, doch auch hier ragt ein Basaltstein in seinen Schädel, während ein zweiter nach links abfällt.

Den Kopf, das härteste im menschlichen Körper, zumal des Mannes, erkannte Beuys als das am meisten den mineralisierten, kristallinen Wirkungen Ausgesetzte. In den Zeichnungen scheint das Portrait eines inneren Zustandes aus der Zeit der Krise angedeutet: ein Leiden an der Übermacht des Intellekts in der Epoche.
Weil er sich ebenmäßige, kristalline Struktur wünschte, hatte Beuys 1981 zunächst die ihm aus frühen Wanderungen vertraute, schlanke, Basaltsteine der Eifel für sein 7000 Eichen-Werk vorgesehen. Doch aus Kostengründen und wegen der längeren Transportwegen musste er auf sie – bis auf wenigen Ausnahmen - verzichten. Notgedrungen und zunächst unwillig entschied er sich für die unförmigeren Basalte aus dem nordhessischen Steinbruch Landsburg bei Schlierbach. Doch, typisch für Beuys’ Vorgehensweise, versöhnte er sich bald mit dieser „zweiten Wahl“. Er befreundete sich mit den gröberen Stein-Gesellen sogar so weit, dass er ihnen zuweilen Menschennamen gab und mit ihnen „redete“.

Die Vertrautheit zeigte sich bereits im Spätsommer 1982, als Basaltsäulen aus demselben Steinbruch für die Konzeption zu einer weiteren, mehrteiligen großen Skulptur verwendet wurden, der Beuys den Titel "Das Ende des 20. Jahrhunderts" gab: Ein so gewichtiges wie rätselhaftes Werk, das, in dreifacher Ausführung, seitdem parallel und zugleich komplementär zu den 7000 Eichen gesehen wird. Oft als pessimistische Variante, bzw. Kontrapunkt zu der Pflanzaktion interpretiert, verweist es mit seinen ausgefrästen, kreisrunden Öffnungen - je eine auf jedem Stein - auf nicht näher zu bestimmende Möglichkeiten.
"Das Ende des 20. Jahrhunderts“ ist ein Zeichen für die alte Welt, dem der Stempel der neuen Welt aufgedrückt ist. Die „Stöpsel“, wie „Pflanzen aus der Steinzeit“, sind zuerst aus dem Basalt gebohrt und dann mit Filz und Ton wieder eingebettet, „damit sie sich nicht wehtun und es warm haben...“, sagte der Künstler in einer seiner seltenen Äußerungen zu diesem Werk.
Urbildhafte Versteinerungen sind manches Mal Thema bei Beuys. So hat ihn am Mythos der Niobe vor allem interessiert, dass sie aus Schmerz über die Tötung ihrer Kinder zu Stein wurde. In einer undatierten Skizze (vielleicht Vorstudie zu einer Skulptur), deren Fotokopie ich Eva Beuys verdanke, ist zu lesen: 6 Söhne/ 6 Töchter/ Niobe/ wurde von den/ Göttern/ zu Stein/ verwandelt/ Leto Apollo Artemis.
Doch Beuys kannte auch den delphischen Mythos von Deukalion und Pyrrha, bei dem sich der Vorgang umkehrte: dort waren es die Steine, die „Knochen der großen Mutter“, die zu Menschen wurden.

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„Jeder Griff muss sitzen.“

 

„Und das ist ja auch ein Merkmal von großer Kunst, dass die sich überhaupt nicht aufdrängt, sondern vollkommen eingeht, in den Zusammenhang eingeht, fast verschwindet in der Natur.“

Joseph Beuys